Qualitätsmessung durch MD-Prüfungen
Das Wichtigste in Kürze
- Die Reform des Begutachtungssystems 2019 war überfällig
- Dennoch gibt es einige Kritikpunkte aus Verbrauchersicht, die ungelöst bleiben
- Die Verbraucher:innen wurden nicht einbezogen
- fehlende Null-Fehler-Toleranz
- teils nur zweijährliche Prüfungen
- Beratungsansatz
- Ausnahmen von der Prüfung
- Vergleichende Bewertung
- fehlende Kriterien
- Einsicht der Angehörigen in die Daten
- Datenschutz
Seit Oktober 2019 werden Pflege-Einrichtungen mit einem neuen Prüfsystem vom Medizinischen Dienst der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung (MD) bewertet. Die vielfach kritisierten Pflegenoten werden abgeschafft und darüber hinaus stehen einige Neuerungen an. Das MD-Prüfsystem steht seit Jahren in der Kritik und der BIVA-Pflegeschutzbund hat berechtigte Zweifel, dass sich durch die neue Prüfsystematik etwas Grundlegendes daran ändern wird.
Hintergrund: Warum wurde die MD-Qualitätsprüfung reformiert?
Seit 2011 werden stationäre Einrichtungen und ambulante Pflegedienste im Auftrag der Landesverbände der Pflegekassen regelmäßig einmal jährlich geprüft. Vor allem die bisherige Darstellung der Prüfungsergebnisse in Pflegenoten ist in den vergangenen Jahren in massive Kritik geraten. Die irreführende Gesamtnote hat dafür gesorgt, dass Qualitätsmängel der Einrichtungen für Verbraucherinnen und Verbraucher nicht klar erkennbar waren. So war zum Erreichen einer 1,0 lediglich die Erfüllung von Mindeststandards notwendig. Die aus dem Schulnotensystem entlehnte Notenskala suggerierte aber etwas anderes. Erkennbare und beispielsweise im Pflegequalitätsbericht des MDK benannte Probleme standen in einem eklatanten Missverhältnis zu einer gesamtdeutschen durchschnittlichen Gesamtnote von 1,2. Folge war, dass das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in die Aussagekraft und die Orientierungshilfe der Pflegenoten stark gelitten hat – und das, obwohl die zugrundeliegenden Prüfergebnisse durchaus Aussagekraft hatten.
2016 reagierte der Gesetzgeber auf das Problem und beauftragte im Rahmen des Pflegestärkungsgesetzes II den sogenannten Pflegequalitätsausschuss damit, durch wissenschaftliche Projekte ein neues Prüfverfahren und eine Alternative zur bisherigen Pflegenotendarstellung zu entwickeln. Das Institut für Pflegewissenschaft an der Uni Bielefeld (leitend Dr. Klaus Wingenfeld) und das Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen (aQua-Institut) in Göttingen bekamen den Auftrag, Vorschläge für eine Reform von Qualitätsprüfung und -darstellung zu entwickeln. Der Abschlussbericht wurde im September 2018 vom Pflegequalitätsausschuss abgenommen.
Kommentar aus Verbrauchersicht
Die Reform des Begutachtungssystems war überfällig. Die Aufbereitung der Ergebnisse war nicht nutzerfreundlich, man konnte nicht sortieren, in Bezug setzen oder Einzelergebnisse filtern. An der Stelle kann man Verbesserungen erwarten, auch wenn wir noch nicht genau wissen, wie es letztlich aussehen soll.
Es ist aber auch zu begrüßen, dass man bei der Reform den Kern der externen Qualitätsprüfungen beibehalten hat. In unserer Beratungspraxis haben wir immer wieder festgestellt, dass die Ergebnisse hilfreich waren. So finden sich häufig Übereinstimmungen zwischen Beratungsfall, etwa ein Problem bei der Medikation, und den Ergebnissen der Prüfung. Die hervorstechende, aber irreführende Gesamtnote machte es aber den Ratsuchenden meist unmöglich, den Ergebnissen Vertrauen zu schenken. Eine tiefgreifende Reform war daher unumgänglich.
Dass die externen Prüfungen um interne Ergebnisindikatoren ergänzt werden, hat den Vorteil, dass damit eine Vollerhebung stattfindet und nicht mehr nur die Stichprobe überprüft wird. Wie die Ergebnisse sind und inwieweit das Vorgehen umgesetzt wird, bleibt abzuwarten.
Neben diesen positiven Ansätzen gibt es aber auch einige Punkte, die aus Verbrauchersicht kritikwürdig sind.
Einbeziehung der Verbrauchersicht
Grundlegendes Problem des Pflegesystems – von Beginn bis heute – ist die mangelnde Einbeziehung der Verbraucher, der Betroffenen in die Entscheidungen. Zwar waren bei den Verhandlungen Vertreter der Verbraucherorganisationen anwesend. Sie haben im Pflegequalitätsausschuss jedoch keine Mitbestimmungsrechte. Hier verabreden also Pflegekassen und Anbieter, welche Kriterien und Vorgehensweisen für die Qualitätsprüfungen vorgesehen sind und wie die Darstellung der Ergebnisse erfolgt. Die Einflussmöglichkeiten der Verbraucher sind hier nur gering. Für die Zukunft fordert der BIVA-Pflegeschutzbund, dass der Verbraucher mit mehr Mitbestimmungsrechten in diese Entscheidungsprozesse eingebunden wird.
Null-Fehler-Toleranz
Auf einer Informationsveranstaltung des MDK am 27. März 2019 in Berlin hat Herr Dr. Wingenfeld, der maßgeblich für die Definition der Qualitätskriterien des neuen Systems beteiligt ist, gesagt: „Nicht jedes unerwünschte Ereignis lässt sich vermeiden, aber die Häufigkeit lässt sich reduzieren“. Die Architekten des neuen Systems bauen darauf, dass durch die Selbstkontrolle automatisch eine Verbesserung der Pflege eintritt. Es ist eine nachvollziehbar pragmatische Einstellung, dass man meint, dass unerwünschte Ereignisse auftreten – gerade wenn man berücksichtigt, dass Menschen die Pflege durchführen. Aber gerade weil die zu Pflegenden in hohem Maße abhängig sind und durch schlechte Pflege geschädigt werden können, muss aus Sicht des BIVA-Pflegeschutzbundes eine Null-Fehler-Toleranz gelebt werden. Es heißt also nicht nur, unerwünschte Ereignisse zu reduzieren – aus Sicht eines Verbrauchers darf es diese Ereignisse erst gar nicht geben. Wo Menschen sind, passieren immer auch Fehler. Man sollte diese aber nicht von vornherein zur Norm erheben.
Zweijährliche Prüfungen
Eine Einrichtung wird im Laufe eines Jahres nicht nur vom MD geprüft, sondern ist auch zusätzlichen Prüfungen unterlegen (z. B. von der zuständigen Heimaufsicht und dem Gesundheitsamt). Um die Anzahl der Prüfungen in einer Einrichtung zu reduzieren, ist geplant, auf eine zweijährliche Regelprüfung umzustellen, sofern die gemeldeten Werte gleichbleibend gut sind und es anderweitig keine Auffälligkeiten gibt. Dies sieht der Pflegequalitätsausschuss als „Ansporn für gute Qualität“. Die Belohnung für gute Qualität ist, dass durch eine „gesparte“ Prüfung mehr Zeit für die Pflege zur Verfügung steht.
Mehr Zeit für Pflege klingt auch für Verbraucher zunächst gut. Was aber ist, wenn es Mängel gibt, die erst nach erfolgter Qualitätsprüfung auftreten? Aus Verbrauchersicht muss klar definiert und nachvollzogen werden, welche Auswertungsalgorithmen es rechtfertigen, den Prüfrhythmus umzustellen. Auch ist leider nicht zu unterschätzen, dass es in jedem System Missbrauchsmöglichkeiten gibt. Man kann sicherlich auch in dem neuen System Wege finden, es zu manipulieren. Die Erfassung der Daten liegt ab November 2019 allein in der Hand der Einrichtung. Wird die Erfassung durch die MDK-Prüfung bestätigt und treten erst danach Qualitätsmängel auf, würden diese Mängel schlimmstenfalls erst nach zwei Jahren auffallen.
Dies ist insbesondere deswegen Grund zur Sorge, weil es gleichzeitig in einigen Bundesländern (Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen) Ansätze gibt, die Prüfungen der Aufsichtsbehörden ebenfalls zu reduzieren oder pflegerische Bereiche nicht mehr zu prüfen. Doppelprüfungen zu minimieren ist gut, allerdings muss dies sorgsam koordiniert werden. Die Plausibilitätsprüfungen durch Algorithmen können auch hierbei eine große Rolle spielen. Es muss z. B. sichergestellt werden, dass auch anlassbezogene Prüfungen entsprechend einbezogen werden.
Beratungsansatz
Die Prüfer vom MD folgen mit der Einführung des Systems einer neuen „Prüfphilosophie“, die verstärkt auf einen Beratungsauftrag baut. Es ist grundsätzlich gut, wenn die Kommunikation zwischen Prüfer und Geprüftem auf einer vertrauensvollen Zusammenarbeit beruht und Hinweise für die Lösung einer Mängelbeseitigung gegeben werden.
Was ist jedoch mit „beratungsresistenten“ Gesprächspartnern? Wie kann und wird sichergestellt, dass Mängel tatsächlich vollständig und schnellstmöglich behoben werden? Werden die Sanktionsmöglichkeiten konsequent eingesetzt? Die BIVA-Beratungspraxis zeigt leider, dass selbst bei mehrfacher Intervention nicht immer die erforderlichen Veränderungsprozesse entsprechend schnell eingeleitet werden. Allein durch Beratung werden Probleme nicht immer gelöst. Ein Sanktionssystem muss es leider für die Fälle geben, wo Mängel nicht beseitigt werden. Der Verbraucher braucht auch hier Transparenz, z. B. in Form einer Veröffentlichung von Maßnahmen und Häufigkeiten der Mängelbehebung.
Ausnahmen von der Prüfung
Bei der Erfassung der Pflegequalität sind z. B. Menschen im Sterbeprozess ausdrücklich ausgenommen. Das ist verständlich, um diese Personen in ihrer Situation nicht zusätzlich zu belasten. Bedauerlicherweise ist aber nicht auszuschließen, dass es Fälle gibt, bei denen die Menschen gerade durch schlechte Pflege sterben. Und sollten diese Fälle nicht gerade begutachtet werden, um schwere Pflegefehler zu identifizieren, um für Abhilfe sorgen zu können?
Vergleichende Qualitätsbewertung
Nach dem neuen Prüfsystem gibt es keine absoluten Standards für einen Wert, der für eine optimale Versorgung steht. Man geht also davon aus, dass sich gute Pflege nicht in einem Wert – wie bislang mit den Noten versucht – belegen kann. Vor dem Hintergrund der wenig aussagekräftigen Pflegenoten ist das nachvollziehbar. Anstatt aber die Messskala anzupassen – etwa insofern, dass die Erfüllung der Mindeststandards nicht mehr 1,0, sondern 3,0 bedeutet –, werden die Prüfergebnisse in Zukunft in einen relativen Bezug gesetzt. Das bedeutet im Prinzip, dass bei einem niedrigen Durchschnittswert das beste Ergebnis immer noch bedeuten kann, dass es Fehler bei der Pflege gibt.
Fehlende Kriterien?
Was sich durch das neue Prüfsystem ändert, ist die Vorgehensweise und die Art der Erfassung der Daten. Grundlage sind jedoch die pflegerischen Aspekte – und somit weitestgehend die gleichen Kriterien für die Pflege. Mit der Beurteilung einiger Kriterien tut man sich schwer, weil es keine definierten Standards gibt (bspw. Kontraktur). Diese werden von der Erfassung ausdrücklich ausgeschlossen. Man sollte schnellstmöglich prüfen, welche Pflegekriterien zur Beurteilung von guter Pflege wichtig sind und hierfür die Standards schaffen. Die neuen Pflegequalitätsprüfungen muss man also nach wie vor so verstehen, dass sie „nur“ vordefinierte Kriterien beurteilen, die für den Einzelfall ggf. nicht ausreichend oder genügend relevant sind.
Einsichtnahme von Angehörigen in die Datenerfassung
Dem BIVA-Pflegeschutzbund liegen derzeit keine Informationen vor, ob die Betroffenen oder Angehörigen ein Recht auf Einsichtnahme der erfassten Daten haben. Sollte dies nicht der Fall sein, muss man diese Möglichkeit schaffen. Dies ist eine zusätzliche Kontrollmöglichkeit, die korrekte Erfassung der Pflegequalität durch die Einrichtungsmitarbeiter zu gewährleisten. Sollte es eine Einsichtsmöglichkeit geben, ist jeder Angehörige und Betroffene aufgefordert, diese Chance wahrzunehmen und sich aktiv einzubringen.
Datenschutz
Seit der Einführung der Datenschutz-Grundverordnung ist vermutlich jeder schon einmal mit dem Datenschutzthema konfrontiert worden. Durch die Einführung der neuen Qualitätsprüfungssystematik ist jede betroffene Einrichtung gezwungen, die Daten elektronisch zu erfassen und an eine Datenauswertungsstelle zu übermitteln. Zwar gibt es Beschreibungen, wie die Namen der Bewohner verschlüsselt werden. Es ist jedoch wünschenswert, dass auch hier für Transparenz gesorgt wird, indem der Verbraucher ohne große Aufwände eine allgemein verständliche Erläuterung erhält, wie die Datenerfassung und der Datentransfer gesichert sind, so dass keine personenbezogenen Daten an Dritte gelangen.