Pflegeschutzbund e. V.

Fachtagung: Bessere Pflege durch wirksamen Verbraucherschutz

Datum/Zeit
15.05.2019 I 10:00 - 16:15 Uhr

Veranstaltungsort
abba Hotel Berlin
Lietzenburger Str. 89
10719 Berlin

Dokumentation der Fachtagung „Verbraucherschutz“

Tagungsbericht: BIVA-Fachtagung zeigt Wege auf für mehr Verbraucherschutz in der Pflege

Die Qualität in der Altenpflege kann deutlich verbessert werden, wenn der Verbraucherschutz für Pflegebetroffene gestärkt wird. Diese These vertritt der BIVA-Pflegeschutzbund und veranstaltete dazu eine Fachtagung als Auftaktveranstaltung, um dieses Thema auch in der Öffentlichkeit weiterzuverfolgen.

Der Pflegesektor ist seit der Einführung der Pflegeversicherung vor 24 Jahren markwirtschaftlich organisiert. Seitdem sind Pflegebetroffene zugleich Kunden und Verbraucher mit einem klaren Anspruch auf Leistungen, für die sie indirekt über ihre Beiträge an die Pflegekassen und außerdem direkt an das jeweilige Heim oder den jeweiligen Dienst zahlen. Die daraus erwachsenen Ansprüche werden jedoch von den wenigsten Pflegebedürftigen selbstbewusst eingefordert. Darin sahen die Teilnehmer der Tagung ein großes Problem.

Doch auch die Regelwerke im Pflegesektor machen es Verbrauchern besonders schwer, die eigenen Rechte wahrzunehmen. Vergleichsmöglichkeiten, Minderungen, Ersatzleistungen oder gar Schadensersatz sind Begriffe, die in der Pflege so gut wie unbekannt sind, die aber in anderen Wirtschaftsbereichen die Einhaltung von Qualitätsversprechen sicherstellen. „Hier gibt es drängenden Nachholbedarf “, stellte Dr. Manfred Stegger, Vorsitzender des BIVA-Pflegeschutzbundes, fest.

Gleich zu Beginn der Tagung vertrat Prof. Dr. Dominik Enste vom Institut der Deutschen Wirtschaft die provozierende These, dass ein Mehr an Vertrauen in die Anbieter viele Probleme lösen könne. Zugleich warnte er vor einer Überregulierung durch den Verbraucherschutz. Ein Standpunkt, der von den folgenden Referenten nicht geteilt wurde. Ein entscheidender Aspekt wurde in Enstes Ausführungen nicht beachtet, wie Moderatorin Tina Groll, Redakteurin bei ZEIT online, im Anschluss feststellte: Dass es sich bei Pflegebedürftigen um Menschen in einer vulnerablen Situation handelt und die deshalb besondere Schutzmechanismen benötigen. Die systematischen Benachteiligungen der Verbraucher im Pflegesystem aufzuzeigen, war Ziel der Fachtagung. Die Moderatorin führte mit viel Fachwissen durch den straffen Zeitplan der Tagung.

Drei kritische Bereiche hat der Pflegeschutzbund identifiziert, die einen effizienten Verbraucherschutz in der Pflege verhindern. Zum einen ist es die unzureichende Verbraucherinformation und die damit verbundene, fehlende Markttransparenz. Vergleiche zwischen Anbietern sind kaum möglich. Die Entscheidung für ein Heim und damit eine Investition von durchschnittlich mehr als 50.000 € basiert selten auf ausreichender Information. Deutliche Kritik äußerte Dr. Stefan Etgeton, Senior Expert bei der Bertelsmann Stiftung, beispielsweise an den Verbraucherinformationen durch den sogenannten Pflege-TÜV, der eine Auswahl erleichtern soll. Diese Qualitätsprüfungen werden zwar gerade reformiert. Er befürchtete aber, dass auch nach dieser Reform die Ergebnisse nicht verbraucherfreundlich dargestellt werden. Er bemängelte, dass die Daten – trotz eines anders lautenden Gesetzes – nicht vollständig an Verbraucherorganisationen weitergegeben werden, damit diese die Lücke mit einer verbrauchergerechten Darstellung schließen können. Selbst im Krankenhaussektor, der aufgrund der Kassenfinanzierung ähnlichen Regulierungen unterliegt wie der Pflegesektor, sind die Verbraucherrechte bzw. Patientenrechte stärker ausgeprägt. Einen Einblick in ihre Arbeit vermittelten Detlef Schliffke und Jürgen Mahnkopf aus dem Vorstand des Bundesverbands der Patientenfürsprecher in Krankenhäusern (BPiK).

Ein weiteres großes Kritikfeld ist die fehlende Beteiligung der Verbraucher, wenn es darum geht, Qualitätsstandards, Preise und Leistungsangebote festzulegen. Bei allen Regulierungen, die dieser besondere Markt notwendig macht, ist der Pflegebetroffene außen vor. Stattdessen legen allein die Kosten- und Leistungsträger die Rahmenbedingungen fest, obwohl die Verbraucher tatsächlich den Großteil der Kosten selbst tragen. Dies gilt insbesondere für den umstrittenen Pflegequalitätsausschuss, der hinter verschlossenen Türen weitreichende Entscheidungen zu Lasten Dritter trifft. Olaf Christen, Referent für Pflege beim Sozialverband VdK Deutschland, schilderte seine Erfahrungen im Qualitätsauschuss. So wie er dürfen dort zwar ausgewählte Betroffenenvertreter bei Beratungen dabei sein, sie haben aber keine Möglichkeiten, auf Augenhöhe mit Pflegekassen und Anbieterverbänden zu verhandeln. Dieser Ausschluss der Betroffenen bei Preis-Leistungsverhandlungen setzt sich auf Länder- und Heimebene fort. Einen Einblick in die komplizierte Materie von Vergütungsverhandlungen hatte den Zuhörern zuvor Peter Allerchen von der AOK Hessen gewährt. In einem aufwendigen zweistufigen Verfahren werden die Vergütungsforderungen der Einrichtungen auf Plausibilität und Angemessenheit geprüft. Die Kassen handeln dabei als „Sachwalter“ der Versicherten, die selbst aber gar nicht beteiligt werden.

Kritisch unter die Lupe genommen wurden drittens die geringen Chancen, Verbraucherrechte auf dem Rechtsweg durchzusetzen. Zwar gibt es rechtliche Möglichkeiten sich gegen Mängel zu wehren, aber in der Lebenslage von Pflegebedürftigen greifen sie kaum. Das Grundproblem ist, dass sich Pflegebedürftige in einer Situation der Abhängigkeit befinden und es ihnen oftmals an Zeit, Kraft und Ressourcen fehlt, um den allgemeinen Zivilrechtsweg zu beschreiten. Im Vortrag von Dr. Karlheinz Börner vom Hessischen Amt für Versorgung und Soziales, Betreuungs- und Pflegeaufsicht ging es darum, wie die Heimaufsichten sie in ihrer schwachen Position unterstützen können. Diese Aufsichtsbehörden könnten als eine Art Verbraucherschutz „von oben“ eingreifen. Die hessische Praxis der Heimaufsicht geht in mancher Hinsicht einen Sonderweg und kann vielleicht als Best Practice dienen. Börner betonte, dass es zusätzlich zu den Instrumentarien der Gefahrenabwehr insbesondere Beratung sowie ein systematisches Einbeziehen von Angehörigen und Betreuern nötig sei. Verbraucherschutz in der Pflege sei somit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu verstehen.

Felix Braun, Leiter der Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle, bedauerte, dass zu wenige Menschen von dem Angebot der Schlichtung Gebrauch machten. Diese Möglichkeit, sich niedrigschwellig Recht zu verschaffen, sei den wenigsten Betroffenen bekannt. Schwieriger, aber auch effizienter, erscheint dagegen die Möglichkeit, Instrumente des kollektiven Verbraucherschutzes anzuwenden. Dazu informierte Prof. Dr. Peter Rott vom Institut für Wirtschaftsrecht der Universität Kassel. Hier sieht sich der BIVA-Pflegeschutzbund zukünftig gefordert, als qualifizierte Organisation bei Rechtsverletzungen im Pflegeumfeld selbst zu klagen. In der anschließenden politischen Diskussion kündigte die Vertreterin der Freien Demokraten, Katharina Willkomm, an, die Möglichkeit der Umkehrung der Beweislast zu prüfen, sodass Betroffene nicht mehr an dem schwierigen Nachweis des Pflegemangels scheitern. Erich Irlstorfer, pflegepolitischer Sprecher der CSU, teilte im Rahmen der Diskussion mit, dass dieses Thema unter Jens Spahn auch im Gesundheitsministerium eine neue Bedeutung erfährt. Im Anschluss überreichte BIVA-Vorsitzender Dr. Manfred Stegger den anwesenden Politikern die drei zentralen Forderungen für die Umsetzung eines verbesserten Verbraucherschutzes.

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