Eine Einrichtung kann, wenn sie im Rahmen des Vertretbaren alles getan hat, um einen Sturz eines Bewohners zu vermeiden, nicht im Nachhinein der Pflichtwidrigkeit beschuldigt werden. Diese Entscheidung traf das Oberlandesgericht Koblenz mit Beschluss vom 17.06.2013.
Die Bewohnerin eines Pflegeheims war mehrfach zu verschiedenen Tageszeiten und an verschiedenen Orten in der Einrichtung gestürzt. Nach einem der Stürze musste sie in ein Krankenhaus eingeliefert werden und verstarb dort an einem subduralen Hämatom. Der Sohn der Bewohnerin (Kläger), der auch deren Vorsorgebevollmächtigter und Alleinerbe war, verklagte daraufhin die Einrichtung (Beklagte) auf die Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie Schadensersatz.
Die Betroffene war in den Monaten vor ihrem Tod bereits mehrfach gestürzt. Entsprechende Sturzprotokolle wurden angefertigt und dem Gericht vorgelegt. Die Pflegedienstleiterin sprach daraufhin mit dem Kläger über zu ergreifende Maßnahmen der Sturzprophylaxe. Es wurde vereinbart, dass das Bett der Betroffenen tiefer gelegt und zusätzlich eine Matratze davor ausgelegt wird. Darüber hinaus erhielt die Betroffene rutschfestes Schuhwerk und Socken sowie Sturzprotektoren. Zusätzlich wurde die Beantragung zur Genehmigung fixierender Maßnahmen durch ein Bettgitter besprochen und später, nach einem weiteren Sturz, noch einmal seitens der Beklagten auf die Dringlichkeit hingewiesen. Die zusätzliche Matratze vor dem Bett der Betroffenen wurde später, wegen der erheblichen Stolpergefahr wieder entfernt. Der Sturz, der zum Tode führte, geschah aus dem Bett heraus, ohne die Matratze davor.
Das zunächst zuständige Landgericht lehnte zwar die Klage des Sohnes ab, sah aber eine Pflichtverletzung in dem Entfernen der Matratze vor dem Bett. Die sonstigen Maßnahmen seien bei dem großen Bewegungsdrang der Betroffenen nicht ausreichend gewesen, der Sturz- und Verletzungsgefahr entgegenzuwirken. Die Beklagte hätte nach dem dritten Sturz der Betroffenen einen Arzt einschalten müssen, um prüfen zu lassen, welche Fixierungsmaßnahmen aus medizinischer Sicht indiziert seien. Auch hätte die Beklagte auf eine sofortige entsprechende Antragstellung durch den Kläger drängen müssen. Das schuldhafte Unterlassen der gebotenen Maßnahmen seitens der Beklagten sei ursächlich für den Sturz gewesen. Lediglich an dem Beweis der Ursächlichkeit des Sturzes für das erlittene Hämatom war die Klage gescheitert. Dagegen wendete sich der Kläger mit der Berufung.
Das Oberlandesgericht als Berufungsgericht beschied, dass der Kläger keinen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz hat. Mit dem Abschluss eines Heimvertrags würden Obhutspflichten und inhaltsgleiche allgemeine Verkehrssicherungspflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Bewohner begründet, die sie vor Schädigungen wegen Krankheit oder einer sonstigen körperlichen oder geistigen Einschränkung durch sie selbst oder die Einrichtung und bauliche Gestaltung des Heims schützen sollen. Diese Pflicht sei allerdings beschränkt auf das Erforderliche und das für die Bewohner und das Pflegepersonal Zumutbare. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner zu schützen und die Selbstbestimmung, Selbstständigkeit und Selbstverantwortung zu wahren und fördern sind. Welchen Inhalts diese Verpflichtung ist, unterliegt bei sorgfältiger Abwägung einem Beurteilungsspielraum sowohl des Trägers, des Personals, als auch erst recht dem Betreuer, Vorsorgebevollmächtigten und Familienangehörigen. Im konkreten Fall bedeute das, dass die Beklagte bei dem bekannten besonderen Sturzrisiko der Betroffenen in einer der Situation angepassten Weise nach allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse Rechnung tragen musste. Die Maßnahmen, welche die Beklagte ergriffen habe, hätten dem Expertenstandard des DNQP entsprochen. Aus den Sturzprotokollen ergab sich, dass die Betroffene an verschiedenen Orten gestürzt war und nicht nur aus dem Bett. Die von der Beklagten getroffenen Maßnahmen waren daher vertretbar, ebenso das Entfernen der Matratze vor dem Bett wegen der erhöhten Stolpergefahr. Auch sei ein Drängen des Klägers zur Beantragung fixierender Maßnahmen nicht erforderlich, da die Betroffene nicht bettlägerig war und sich somit nicht permanent in einer Gefahrenlage befunden habe. Die Beklagte sei auch nicht verpflichtet gewesen, einen Arzt zu konsultieren, dies überspanne den Pflichtenkreis. Vielmehr habe der Kläger als Vorsorgebevollmächtigter dies erledigen müssen.