Pflegeschutzbund e. V.

Eine Zwangsbehandlung ist nicht rechtmäßig, wenn sie schriftlich ausgeschlossen wurde

Das Bundesverfassungsgericht hat beschlossen, dass eine Zwangsbehandlung auch bei drohenden irreversiblen Gesundheitsschäden nicht gerechtfertigt ist, wenn diese vom Betroffenen im Zustand der Einsichtsfähigkeit wirksam ausgeschlossen wurde. Der Beschwerdeführer war mit Neuroleptika behandelt worden, obwohl er dies schriftlich untersagt hatte. Er sah hierin eine Verletzung seiner Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit und Menschenwürde.

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer war im Maßregelvollzug untergebracht. Er erklärte schriftlich, dass er jedem Arzt, Pfleger und anderen Personen verbiete, ihm Neuroleptika in irgendeiner Form und gegen seinen Willen zu verabreichen oder ihn dazu zu drängen.
Später beantragte der Einrichtungsträger beim zuständigen Gericht die Zwangsbehandlung des Beschwerdeführers, weil er an einer schweren Schizophrenie leide. Die Behandlung sei notwendig, um ihn vor irreversiblen hirnorganischen Gesundheitsschäden zu bewahren. Dem Antrag wurde stattgegeben. Hiergegen wehrt sich der Beschwerdeführer. Er meint, er sei durch die Zwangsbehandlung in seinen Grundrechten auf körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 1 Satz 1 Alt. 2 GG) und seiner Menschenwürde (Art. 1 Absatz 1 GG) verletzt.

Entscheidung

Die Verfassungsbeschwerde hatte zum Teil Erfolg. Das Gericht meint, eine Zwangsbehandlung und der damit verbundene Grundrechtseingriff könne dann nicht gerechtfertigt sein, wenn diese im Zustand der Einsichtsfähigkeit wirksam ausgeschlossen sei. Sofern Betroffene mit freiem Willen über medizinische Maßnahmen entscheiden könnten, bestünde keine Schutz- und Hilfsbedürftigkeit, die Voraussetzung für eine staatliche Schutzpflicht sei. Der Einzelne sei grundsätzlich frei, über Eingriffe in seine körperliche Integrität und den Umgang mit seiner Gesundheit nach eigenem Ermessen zu entscheiden. Diese Freiheit sei Ausdruck der persönlichen Autonomie des Einzelnen. Diese sei durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Ar 1. Abs. 1 GG gegeben. Daraus resultiere eine „Freiheit zur Krankheit“. Man dürfe daher eine Heilbehandlung auch dann ablehnen, wenn diese dringend angezeigt sei und deren Unterlassen zum dauerhaften Verlust der persönlichen Freiheit führen könne. Habe der Betroffene also die Ablehnung einer medizinischen Zwangsbehandlung wirksam verfügt, dürfe der Staat sich darüber nicht zum Schutz des Betroffenen hinwegsetzen. Dies sei nur möglich, wenn durch die abgelehnte Zwangsmaßnahme auch Dritte betroffen sind. Für diesen Fall müsse der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit strikt angewendet werden.

Die die Behandlung ausschließende Patientenverfügung müsse in einem zweistufigen Verfahren überprüft werden. Die Erklärung müsse zunächst im Zustand der Einsichtsfähigkeit auf die Bedeutung ihres Aussagegehalts überprüft werden. Sodann sei der Inhalt der Erklärung daraufhin auszulegen, ob diese hinreichend bestimmt und die konkrete Behandlungssituation umfasst ist. Es sei fortlaufend zu prüfen, ob die jeweiligen Umstände der Krankheitssituation noch von der Patientenverfügung gedeckt sind.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 08.06.2021 – 2 BvR 1866/17 und 2 BvR 1314/18

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