Am 01. Juli 2015 veranstaltete die Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen (BIVA) e.V. in Frankfurt am Main eine Fachtagung zur Zukunft des sogenannten „Pflegenoten“, den Qualitätsprüfungen in stationären Pflegeeinrichtungen. Im Mittelpunkt stand die konkrete Situation für den Verbraucher. Angesichts der umfassenden Reform der Prüfungen, die voraussichtlich erst im Jahr 2018 abgeschlossen sein wird, wurden auf der Tagung Probleme und v. a. Lösungsansätze und alternative Konzepte diskutiert.
In einem ersten Block legten dazu jeweils ein Vertreter von Medizinischem Dienst, eines Leistungsanbieters und der Verbraucherzentrale ihre Sicht auf die Konzeption und die Entwicklung der Pflegenoten dar. Jürgen Brüggemann vom Team Pflege des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V. (MDS) betonte, dass die Entwicklung der Pflegenoten im Jahr 2008 durch die formalen Vorgaben des Gesetzgebers und die zeitlichen Einschränkungen stark beeinflusst wurde und begrüßte daher die Reform. Allerdings solle man nicht alles Bisherige verwerfen, da trotz aller Kritik die Versorgungsqualität nachweislich verbessert konnte. Als nächster Redner verwies auch Thomas Knieling, der Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Alten- und Behindertenhilfe e.V. (VDAB), auf unbefriedigende zeitliche Vorgaben mit begleitenden Fehleinschätzungen bei der Entwicklung der Pflegenoten. Dies habe zu kaum erfüllbaren Erwartungen geführt, so dass das Konstrukt der Pflegetransparenzvereinbarungen zwangsläufig nicht zum Erfolg führen konnte. Die Sicht des Verbrauchers zu der Entwicklung der Pflegenoten vertrat Dieter Lang, der Referent Pflege und Senioren beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Den heutigen Pflegenoten fehle es an den für den Verbraucher interessanten Informationen zur Lebensqualität. Notwendig seien zudem klare und sanktionsbewährte Vorgaben und Fristen.
In den beiden nächsten Tagungsblöcken ging es um neue Ideen und Alternativen für die Zukunft. Im ersten Block waren dies Ideen zu alternativen Bewertungskriterien für menschengerechte und selbstbestimmte Pflege. Hierzu machte Dr. Klaus Wingenfeld den Anfang. Er ist der wissenschaftliche Geschäftsführer des Instituts für Pflegewissenschaften an der Universität Bielefeld (IPW). Der Ansatz des IPW bestehe aus den sogenannten Ergebnisindikatoren und arbeite mit vergleichender Qualitätsbeobachtung auf Basis einer Gesamterhebung sowie Bewohner- und Angehörigenbefragungen. Eine neutrale, externe Stelle soll die Eigen-Erhebungen der Einrichtungen im Nachgang bewerten und bisherige Kontrollen könnten zusätzlich durchgeführt werden. Dr. Karin Stiehr von der Heimverzeichnis gGmbH ergänzte eine andere Perspektive, und zwar die der Lebensqualität der Bewohner von stationären Einrichtungen. Lebensqualität sei aber immer subjektiv und somit schwieriger zu messen. Der Qualitätskriterienkatalog des Heimverzeichnisses beinhalte daher „weiche“ Faktoren wie Autonomie, Teilhabe und Menschenwürde, und erfasse damit weit mehr „Lebensqualitäts-Aspekte“ als die offiziellen Pflegetransparenzvereinbarungen. Adelheid von Stösser, Gründerin des Pflege-Selbsthilfeverbandes, forderte im anschließenden Vortrag, dass zunächst die Anforderungen an ein neues Heimbewertungssystem definiert werden muss, bevor es etabliert werde. Aufgrund der vergangenen Erfahrungen müsse das Bewertungssystem verlässlich, verbindlich und verhältnismäßig sein.
Ergänzend hierzu legten die Referenten des nächsten Veranstaltungsblocks Vorschläge für eine verbrauchergerechte Informationsaufbereitung der erhobenen Qualitätsinformationen vor. Johannes Strotbek stellte den Ansatz der Weissen Liste gGmbH vor, bei der er als Projektmanager arbeitet. Das Internetportal helfe dem Patienten u. a. bei der Suche nach einem passenden Pflegeheim oder -dienst. Bei der Gestaltung solcher Informationsmittel sei zu berücksichtigen, dass der Verbraucher unverständliche, komplexe Informationen ausblende und leicht verfügbare und verständliche Informationen bevorzuge. Als nächste stellte die Projektleiterin Frauke von Hagen das neue Internetportal pflegegüte.de vor. Das Projekt der Stiftung Stark im Alter basiere auf der Annahme, dass zum einen die heutigen Pflegenoten in einer alternativen Aufbereitung dem Nutzer mehr Informationen als die irreführenden Gesamtnoten geben könne. Dazu würden auch die Unterergebnisse der Berichte so dargestellt, dass sie vergleichbar und verständlich seien. Zudem sollten andere Prüfergebnissen, etwa Heimaufsichtsberichte und Nachrichten gemeinsam mit den Qualitätsbeurteilungen präsentiert werden. Damit erhalte der Nutzer eine zentrale Anlaufstelle, um alle vorhandenen Informationen „auf einen Blick“ zu haben. Transparenz zu schaffen ist auch das Ziel von Daniel Drepper, einem Journalisten vom Berliner Recherche-Büro CORRECT!V. Einerseits sollten möglichst viele Originalinformationen verfügbar gemacht werden. Andererseits sei es auch deren Aufgabe, die Informationen zu analysieren und verständlich aufzubereiten. Den letzten Vortrag der Tagung hielt Bernadette Höller, die Geschäftsführerin der werpflegtwie GmbH. Das seit 2014 bestehende Online-Bewertungsportal für stationäre Einrichtungen versuche die Situation in Pflegeeinrichtungen durch Kundenbewertungen zu verbessern: Eine positive Bewertung stärke die professionelle Pflege, durch eine negative Kundenbewertung erhalte sie hilfreiches Feedback, das zu Verbesserungen der Leistungen führen könne. Durch diesen ständigen Austausch profitierten am Ende beide Seiten – der Pflegende und der Kunde.
Den Abschluss der Tagung markierte eine von der Journalistin Anette Dowideit (Die Welt/N24) moderierte Podiumsdiskussion, an der Vertreter der entscheidenden Institutionen der Pflegeselbstverwaltung beteiligt waren: Andreas Besche, der Geschäftsführer des Verbandes der Privaten Krankenversicherung, vertrat die Pflegekassen. Herbert Mauel, der Geschäftsführer des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste, und Werner Hesse, der Geschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband, vertraten die privatwirtschaftlichen Leistungsanbieter und die der freien Wohlfahrtspflege. Mit Dieter Lang von der vzbv, der bereits als Einzelredner aufgetreten war, und Dr. Manfred Stegger, dem Vorsitzenden der BIVA, rundeten zwei Verbraucherschützer das Podium ab. Hauptthema waren Art und Umfang der angestoßenen Reform. Dabei wurden die aktuellen Qualitätskriterien scharf kritisiert. Stegger monierte, dass die derzeit etwa 70 Prüfkriterien nur einen Teil abdecken könnten. Bei lediglich 17 sei eine Inaugenscheinnahme der Betroffenen notwendig und die Stichprobengröße von derzeit 10% sei zu klein, um statistisch valide Aussagen treffen zu können. Im Großen und Ganzen waren sich alle Diskutanten einig, dass die Prüfungen in der jetzigen Form nicht weiter betrieben werden sollten, aber auch, dass man nicht alles Bestehende verwerfen sollte. Angesichts der langen Übergangszeit und des offenen Ausgangs der Reform, forderte auch Lang, das jetzige System bis zu einer Neustrukturierung modifiziert beizubehalten.
Alle waren sich einig, dass die irreführende Gesamtnote abgeschafft werden sollte. Als Alternativen für die Darstellung der Ergebnisse wurden, „Sternchen“ von eins bis fünf, Prozentzahlen oder Balkendiagramme genannt. Mauel und Besche waren allerdings der Ansicht, dass die derzeitige Veröffentlichungsform unterhalb der Gesamtnote nicht zu kompliziert sei. Stegger hielt dagegen, dass es nicht ausreiche, wenn man sehe, dass ein Kriterium in x von y Fällen zutrifft. Außerdem seien die Daten derzeit nicht vergleich- und sortierbar, weshalb er forderte, die Daten den Verbraucherorganisationen zur Verfügung zu stellen. Sie könnten dann eigene verbraucherfreundliche Portale schaffen. Der Wille, aus den jetzigen Daten brauchbare Informationen zu generieren, war auch in der Skepsis begründet, dass die Reform termingerecht umgesetzt werde. So hielt Besche den Zeitplan von 2 bis 3 Jahren für sportlich, wenn der Prozess wissenschaftlich begleitet würde. Das von der PKV gegründete Qualitätsinstitut habe aber angeboten, bei der wissenschaftlichen Entwicklung mitzuarbeiten.
Das Problem des jetzigen Notensystems wurde von allen zwar weniger in den Kriterien als in deren Berechnungsweise bzw. der Darstellung in einer Gesamtnote gesehen. Dennoch fehle es an Kriterien für Lebensqualität. In der Diskussion zu den Qualitätskriterien wurde zwischen „harten“, also formal messbaren oder klinisch relevanten, und „weichen“ Faktoren, wie der Lebensqualität in Pflegeeinrichtungen, unterschieden. Für letztere sei die Einrichtung nicht verantwortlich. Sie könne aber durch gute Angebote zu einer hohen Lebensqualität beitragen. Die Transparenzkriterien müssten die Erfüllung der formalen Mindeststandards sicherstellen und ergänzende Informationen für den Verbraucher liefern.
Aus dem Publikum wurde umfassende Kritik geübt, dass die Diskussion über die Kriterien lediglich eine Scheindiskussion darstelle. Die zukünftige Pflegequalität müsse an der Mangelverwaltung angesichts des Fehlens von Fachkräften gemessen werden. Mauel stimmte zu, dass man jeden dritten Absolventen mit mittlerem Bildungsabschluss bräuchte, um den Mangel zu beseitigen. Es würde derzeit aber nicht einmal jeder 30. tatsächlich erreicht. Daraus folgte die abschließende Frage von Frau Dowideit, ob man angesichts des Mangels nicht mehr kritisch sein dürfe und ob man sich also mit weniger kritischen Prüfungen zufrieden geben müsse? Das wehrte Stegger entschieden ab. Es gebe schließlich Einrichtungen, die hervorragende Arbeit leisteten, ihre Kosten decken könnten und zufriedene Mitarbeiter hätten. Betreibern, die mit hohen Renditen werben und an der Pflege und Aktivitäten sparten, müssten gerade durch kritische Fragen das Leben schwer gemacht werden.
Hier finden Sie eine Dokumentation der einzelnen Vorträge.