Der demografische Wandel hat in doppelter Weise Auswirkungen auf den Pflegesektor: Mit der Alterung der Bevölkerung steigt die Pflegebedürftigkeit und somit die Nachfrage nach professioneller Pflege. Zugleich gibt es weniger Arbeitskräfte, die den Bedarf nach Pflegefachkräften erfüllen können. Die Altenpflege ist seit Jahren eine der besonders stark wachsenden Branchen. Bisher konnte der Mangel an Fachkräften auch durch gesteigerte Ausbildungsraten und vermehrte Anwerbung ausländischer Fachkräfte nicht kompensiert werden. Ein Indiz für den Engpass ist, dass Stellenangebote für examinierte Altenpflegefachkräfte im Bundesdurchschnitt 123 Tage vakant sind und damit doppelt so lange wie im Gesamtdurchschnitt (Quelle: Bundesagentur für Arbeit).
Hohe Anforderungen an Pflegekräfte
Insbesondere die hohen Anforderungen im Pflegeberuf haben negative Effekte auf die Personalsituation. Es gibt ungewöhnlich hohe Fluktuationsraten, Berufsausstiegs- und Abbruchquoten bei der Ausbildung. Zudem ist die Anzahl von Pflegekräften mit psychischen Erkrankungen relativ hoch. Dies alles deutet auf einen hohen psychischen Druck und auf eine Unzufriedenheit, weil die Pflegekräfte ihre in der Ausbildung gelernten Fachkenntnisse und Fähigkeiten nicht anwenden und eigene Ansprüche an die Arbeit nicht umsetzen können.
Die Anforderungen an die Pflegekräfte steigen seit Jahren. Es gibt immer mehr Pflegebedürftige, die durchschnittlich einen höheren Pflege- und Betreuungsbedarf haben und eine immer kürzere Zeit in der Einrichtung verweilen. Die Anforderungen, insbesondere für Pflegebedürftige mit kognitiven Einschränkungen, werden durch den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff weiter steigen.
Gesetzliche Personalvorgaben
Ein Hebel, um die Personalsituation zu verbessern, ist es, als Gesetzgeber mit Mindestvorgaben steuernd einzugreifen. Auf die Art erhöht man den Druck auf die Einrichtungen, ausreichend Personal anzuwerben. Zudem sinkt bei ausreichender Personaldecke die Belastung für die einzelne Fachkraft. Im föderalistischen deutschen Pflegesystem werden gesetzliche Vorgaben zum Personal auf Länderebene getroffen und in den jeweiligen Landesheimgesetzen und/oder den dazugehörigen Personalverordnungen festgeschrieben. Dies geschieht sowohl über Personalschlüssel, die besagen, wie viele Pflegebedürftige von einer Pflegekraft höchstens versorgt werden dürfen. In manchen Ländern sind zudem (schlechtere) Quoten für Nacht- und Ruhezeiten festgelegt. Der zweite gesetzlich festgelegte Faktor ist der Anteil der Fachkräfte an den Pflegekräften, die sogenannte Fachkraftquote.
Neben den gesetzlichen Mindeststandards werden auch in den Landesrahmenverträgen – wiederum auf Landesebene – zwischen Kassenvertretern und Trägerverbänden Personalrichtwerte vereinbart.
Die gesetzlichen Vorgaben sind also von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Aus Verbrauchersicht ist es nicht einsichtig, warum sich je nach Region mehr oder weniger Menschen um den Pflegebedürftigen kümmern. Wünschenswert wäre eine bundeseinheitliche Regelung. Dazu fehlt es allerdings noch an Grundlagenforschung. So gibt es für Deutschland keine evidenzbasierten Studien zu personellen Mindeststandards und zum Zusammenhang von Personalausstattung und Pflegequalität.
Wissenschaftliche Grundlage zur Personalbemessung
In einer aktuellen Studie zum Personalbedarf durch die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (verdi) werden die Mindeststandards zur Personalbemessung aus den USA als vorbildhaft angeführt. Dort wird je nach Bundesstaat eine Untergrenze an Stunden der direkten Pflege pro Pflegebedürftigen festgesetzt. Zudem werden Fachkraftquoten festgelegt. Folge der Mindeststandards seien Neueinstellungen von Pflegekräften, v.a. von Pflegehilfskräften, also eine verbesserte Personalausstattung. Zudem könne man dort positive Effekte auf die Pflegequalität nachweisen, auch wenn eine höhere Fachkraftquote als in den USA notwendig sei. Dies könne allerdings nur durch höhere Kosten für Versicherungsträger, Sozialhilfeträger und Pflegebedürftige in Deutschland umgesetzt werden.
Änderungen durch die Pflegereform
Mit dem Pflegestärkungsgesetz II wird erstmals auch in Deutschland ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren zur Personalbemessung in Pflegeeinrichtungen entwickelt und erprobt. Festgeschrieben ist dies in § 113c SGB XI und soll spätestens zum 30. Juni 2020 umgesetzt werden. Voraussetzung dafür ist zunächst die Etablierung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes ab 2017, da dieser den Leistungsbedarf umfassender abbilden kann.
Karl-Josef Laumann, der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, misst der Wissenschaft in diesem Prozess allerdings eine kleinere Rolle zu. Die Personalausstattung sei das Ergebnis von Verhandlungen, nicht von Studien. In einem aktuellen Positionspapier hat er die Vertragspartner der Landesrahmenverträge dazu aufgefordert, nicht bis 2020 zu warten, um die Personalschlüssel zu ändern. Er geht davon aus, dass der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff insbesondere durch verbesserte Leistungen an kognitiv Beeinträchtigte dafür sorgen wird, dass mehr Personal benötigt wird. Entsprechend ruft er dazu auf, möglichst bald höhere Quoten zu verhandeln.
Ausblick und Probleme
Neue Methoden und Verhandlungen zur Bemessung des notwendigen Personals in Pflegeeinrichtungen garantieren nicht den Erfolg. Voraussetzungen für das Gelingen sind, dass ein Bemessungssystem praktikabel und finanzierbar sein wird, dass bei Nichterfüllen Sanktionen folgen und v.a. die Kosten der Veränderung finanziert werden.
Auch die 800 Millionen € an zusätzlichem Geld für den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff im stationären Bereich wird auf lange Sicht nicht ausreichen – vorausgesetzt man findet genug qualifiziertes Personal, um die Vorhaben umzusetzen. Seit Jahren setzt die Bundesregierung auch aus finanziellen Gründen auf eine Ambulantisierung der Pflege. Die Angehörigen übernehmen mittlerweile viele Aufgaben des Fachpersonals. Ein aktuelles Beispiel ist das Förderprogramm „Pflegetrainer“ der Universität Bielefeld gemeinsam mit den AOK Verbänden Rheinland/Hamburg und NordWest. Angehörige sollen darin informiert und geschult werden, den Übergang von der Versorgung im Krankenhaus zu der im familialen Umfeld zu gestalten. Man reagiert damit auf eine Überforderung der Krankenhäuser in der Versorgung der wachsenden Gruppe hochaltriger Patienten und das Problem der Finanzierung durch Fallpauschalen, die immer kürzere Verweildauern zulassen.
Erfreulich an der Entwicklung ist aber, dass die Personalausstattung zunehmend an Bedeutung in der öffentlichen Wahrnehmung gewinnt. Personal- und Fachkraftquoten sind wichtige Qualitätskriterien bei der Wahl einer Einrichtung. Aus Verbrauchersicht sollte unbedingt dafür gesorgt werden, dass die Personalausstattung als Qualitätsindikator veröffentlich werden muss.