Bereits jetzt ist der monatliche Eigenanteil an den Kosten für einen Heimplatz auf einem Niveau, das sich viele Pflegebedürftige nicht mehr oder noch geradeso leisten können. Im bundesweiten Durchschnitt lag der Eigenanteil laut der Statistik des vdek zum 1. Juli 2022 bei 2.248 €, in NRW bei 2.587 €. Je nach Aufenthaltsdauer im Heim gibt es einen Zuschuss zu den Pflegekosten von 5 bis 70 Prozent.
Die Kosten im Pflegeheim steigen zudem seit Jahren weit stärker als die Renten, im Schnitt 8-10 Prozent pro Jahr. In diesem Jahr wird die Steigerung noch einmal höher ausfallen, denn die Einrichtungen sind verpflichtet, ab September Tariflöhne zu zahlen, und auch die gestiegenen Energie- und Lebenshaltungskosten werden auf die Bewohner:innen umgelegt.
In unserem Beratungsdienst spüren wir derzeit aber eine deutliche Verschärfung der Situation: In den Entgelterhöhungen, die unseren Berater:innen vorgelegt werden, hat sich die durchschnittliche Erhöhung im Vergleich zum Vorjahr in etwa verdoppelt; von etwa 200-300 € auf ungefähr 600 €. In Einzelfällen sehen wir sogar immer wieder Erhöhungen von über 1.000 Euro.

Kosten sind Beratungsschwerpunkt
Die Beratungen zu Kosten & Finanzierung, insbesondere Entgelterhöhungen, waren schon in den letzten Jahren eine Hauptschwerpunkt, und haben 2022 noch einmal stark zugenommen. Von unseren etwa 6.000 Beratungen in 2021 entfielen 2700 auf das Thema Kosten und Finanzierung. In 2022 sind es jetzt, nach nur acht Monaten, schon mehr als 3000. Es zeigt sich also deutlich der steigende Bedarf der Betroffenen beim Thema Pflegekosten.
Gründe für die hohen aktuellen Entgelterhöhungen
Die starken Entgelterhöhungen haben verschiedene Ursachen. Zum einen sehen die BIVA-Juristen bei der Prüfung von Heimentgelt-Erhöhungsschreiben, dass die Preissteigerungen von den Heimträgern bereits geltend gemacht werden. Besonders der Anteil für die Unterkunft steigt wegen der deutlich höheren Strom- und Heizungskosten rapide an. Das ganze Ausmaß der Kostensteigerung lässt sich jedoch noch nicht abschätzen, denn die Preise steigen weiter und die Auswirkungen der umstrittenen Gasumlage nicht absehbar. Aber auch die Kosten für Verpflegung erhöhen sich bereits aufgrund der gestiegenen Lebensmittelpreise.
Zum anderen macht sich das neue Tariftreuegesetz bemerkbar. Die Einrichtungen sind verpflichtet, in Versorgungsverträgen, die nach dem 1.9.22 geschlossen werden, den Pflegekräften Tariflöhne bzw. daran angelehnte Löhne zu zahlen. Je nach vorherigem Lohnniveau hat das gravierende Auswirkungen, die aber je nach Region und Träger (kirchliche Träger haben vorher schon oft Tariflohn gezahlt) sehr unterschiedlich sind.
Was droht: Sozialhilfe oder Unterversorgung
Immer mehr Pflegeheimbewohner:innen werden durch die hohen Pflegekosten zu Sozialhilfeempfängern, weil sie die gestiegenen Eigenanteile nicht mehr bezahlen können. Der Anteil der Bezieher von „Hilfe zur Pflege“ ist in den letzten Jahren immer weiter gestiegen und liegt aktuell bei etwa 40 Prozent. Angesichts der drastischen Erhöhungen ist hier ein weiterer starker Anstieg zu erwarten.
Bei Pflegebedürftigen, die ambulant zu Hause versorgt werden, sind die Auswirkungen anders, aber nicht weniger besorgniserregend: Hier gibt es keine Vollversorgung wie bei der stationären Pflege, sondern man kauft einzelne Leistungen ein. Wenn hierbei das Geld nicht ausreicht – denn die Beträge, die von der Pflegeversicherung kommen, wurden nicht erhöht –, muss man ggf. auf Pflege- oder Betreuungs-Leistungen verzichten. Wir haben schon davon gehört, dass bestimmte Leistungen etwa nur noch alle zwei Tage erbracht werden sollen. Auf lange Sicht droht hier eine strukturelle Unterversorgung, wenn nicht gegengesteuert wird.
Was bedeutet das Abrutschen in die Sozialhilfe?
Der Gang zum Sozialamt ist vielleicht in den letzten Jahren etwas ‚üblicher‘ geworden, aber immer noch für die meisten Betroffenen eine Katastrophe. Man stelle sich vor, die Menschen haben teilweise 45 Jahre in Vollzeit gearbeitet und können trotzdem im Alter ihre Versorgung nicht mehr finanzieren – das ist schwer zu ertragen.
Lösung: Sockel-Spitze-Tausch und bessere Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte
Nötig wäre eine umfassende Pflegereform – zum einen finanziell: Es ist richtig, dass Pflegekräfte jetzt ordentlich bezahlt werden, aber für viele Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen sind die Kosten schon jetzt nicht mehr zu stemmen und das Armutsrisiko steigt weiter. Aktuell kann man zudem gar nicht abschätzen, welche Kosten auf einen zukommen, um ggf. dafür vorzusorgen, da die zukünftigen Erhöhungen völlig unabsehbar sind. Der BIVA-Pflegeschutzbund fordert daher seit langem eine Umkehr des finanziellen Risikos von den Versicherten auf die Versicherung im Sinne eines sogenannten Sockel-Spitze-Tausches. Demnach sollten Pflegebedürftige einen fixen Beitrag leisten und das darüber hinausgehende Risiko sollte von der Pflegeversicherung getragen werden – wie bei einer echten Kaskoversicherung.
Zum anderen darf es nicht bei der besseren Bezahlung der Pflegekräfte bleiben, sondern auch die Arbeitsbedingungen müssen sich verbessern. Dazu bedarf es auch einer strukturellen Pflegereform: Aktuell liegen die Anreize falsch, wenn Investmentfonds in Pflegeheime investieren und zweistellige Renditen für ihre Aktionäre erwirtschaften. Verbraucherschutz gibt es dagegen kaum. Ein positiver Wettbewerb könnte beispielsweise entstehen, wenn die Einrichtungen die tatsächlichen Personalzahlen veröffentlichen müssten. Ausreichend Personal ist das wichtigste Qualitätskennzeichen, aber aktuell weiß der Verbraucher nicht, für wie viel Personal er denn eigentlich bezahlt. Man würde aber sicherlich eine Einrichtung vorziehen, in der keine Unterbesetzung herrscht.