
Pflegebedürftige und vor allem Pflegeheimbewohner sind Menschen, die zu einer gefährdeten Risikogruppe für SARS-CoV-2 („Corona-Virus“) zählen: sie sind in der Regel hochaltrig und haben Vorerkrankungen. In der Gruppe der über 80-Jährigen liegt die Sterberate nach aktuellem Stand der Dinge bei etwa 15 Prozent.
Die Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen müssen daher besonders geschützt werden. Aber wie sollten sich Angehörige jetzt verhalten und was tun die Einrichtungen?
Keine unverhältnismäßigen Maßnahmen
Auch wenn die Krankheit eine ernstzunehmende Gefahr für Pflegeheimbewohner darstellt, sollte man nicht in Panik verfallen – weder Angehörige, noch Bewohner oder Einrichtungsmitarbeiter. Das Verhalten des Einzelnen und generelle Anordnungen der Einrichtung müssen genau durchdacht werden. Maßgeblich geleitet wird die Regelung in der einzelnen Einrichtung durch die „Schutzstrategie vulnerabler Gruppen“ – also Risikogruppen -, die durch das Robert Koch-Institut, die Bundes- und Landesregierungen ausgegeben wird.
Sind Besuchseinschränkungen wegen des Corona-Virus zulässig?
In einem besonders betroffenen Gebiet oder auf Anordnung einer Behörde bzw. einer Empfehlung des Robert Koch-Instituts können Besuchseinschränkungen notwendig sein. Mittlerweile ist dies in den meisten Regionen der Fall. So hat am 13.03.2020 das Bundesland Bayern als erstes ein weitgehendes Besuchsverbot erlassen; später am selben Tag wurde für Nordrhein-Westfalen eine ähnliche Regelung verkündet. Mittlerweile gibt es in jedem Bundesland Regelungen und Verhaltensempfehlungen, die teilweise schon mehrfach angepasst wurden. Ergebnis ist, dass die Regelungen tendenziell immer schärfer werden. Hier finden Sie eine Übersicht.
Allerdings werden teilweise auch unbegründete Besuchs- oder Hausverbote für Angehörige erlassen. Hier muss man nach der Verhältnismäßigkeit fragen. Dabei stellt sich auch die Frage, ob ein Pflegeheim solch eine Besuchseinschränkung einfach verhängen darf. Eigenmächtig, ohne eine Anordnung der Gesundheitsämter oder übergeordneter Behörden darf das nicht entschieden werden, da die Bewohner ein Selbstbestimmungs- und auch ein Hausrecht in den eigenen Räumlichkeiten haben.
Generell muss man in so einem Fall die Fürsorgepflicht der Einrichtung und das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen abwägen. Dies muss immer im Einzelfall geschehen bzw. in einer bestimmten Region, wenn es dort entsprechende behördliche Anweisungen gibt.
Reichen die Schutzmaßnahmen für Pflegebedürftige aus?
Die Ausbreitung des Corona-Virus‘ in Pflegeheimen macht deutlich, dass die Schutzmaßnahmen für Pflegebedürftige bisher nicht ausgereicht haben. Mit dem allgemein praktizierten Besuchsverbot wurde nur eine Ansteckungsquelle vermieden. Das Pflegepersonal selbst bedeutet eine ebenso große Gefahr für die Bewohner. Daher fordert der BIVA-Pflegeschutzbund, das gesamte Personal regelmäßig in kurzen Abständen zu testen und nur dann den Zugang zu den Bewohnern zu ermöglichen, wenn die Tests negativ ausgefallen sind bzw. Antikörper festgestellt wurden. Auch die vielerorts fehlenden Schutzmasken, -kleidung und Desinfektionsmittel haben vermutlich zur Ausbreitung in den Einrichtungen geführt. Deshalb müssen diese wie auch ambulante Pflegedienste unbedingt vorrangig mit dem notwendigen Material ausgestattet werden. Mit ausreichendem Schutzmaterial könnte das Besuchsverbot vielleicht sogar teilweise gelockert werden.
Einsam durch Corona?
Generell gilt: Die Bewohner müssen geschützt werden, aber die Maßnahmen müssen auch verhältnismäßig sein. Denn Besuchsverbote haben große Auswirkungen auf die Bewohner: Einsamkeit ist in Pflegeheimen ohnehin schon ein großes Problem. Wenn man der Einschätzung einiger Virologen folgt, wird sich das Corona-Virus noch mindestens bis zum Herbst, wahrscheinlich bis nächstes Jahr weiter verbreiten. Sollen die Bewohner bis dahin in „Isolationshaft“ sitzen? Die durchschnittliche Verweildauer im Pflegeheim liegt je nach Statistik zwischen anderthalb und zwei Jahren. Das heißt, dass viele Bewohner einen Großteil ihrer verbleibenden Zeit allein verbringen müssten oder die Angehörigen sie höchstens in der Sterbephase zu Gesicht bekämen. Entsprechend erlauben nahezu alle Länder weiterhin Besuche, die medizinisch oder ethisch-sozial erforderlich sind. Als Beispiel dafür wird meist die Begleitung im Sterbeprozess genannt. In manchen Ländern können darüber hinaus gesetzliche Betreuer, Anwälte oder Notare zum Besuch hereingelassen werden, sofern der Besuch für ihre Tätigkeit notwendig ist.
Sterbebegleitung muss möglich sein
Wenn ein alter Mensch im Sterben liegt und seine Angehörigen sehen möchte, muss einzelfallbezogen eine Abwägung zwischen Hygiene und Menschenwürde vorgenommen werden. Jedes Beharren auf starren Regeln führt zu unnötiger menschlicher Grausamkeit. Zum einen muss ein sterbender Mensch nicht mehr vor einem Virus geschützt werden. Er braucht – neben einer palliativ ausgerichteten medizinischen Versorgung – vor allem menschliche, moralische und geistliche Unterstützung in seinem allerletzten Lebensabschnitt. Er muss die Gelegenheit haben, sich von Angehörigen zu verabschieden und ggf. wichtige Dinge zu regeln. Zum anderen sollte einem Angehörigen, der die notwendigen Schutzmaßnahmen einhält, auf jeden Fall Zutritt zu einem sterbenden Verwandten gewährt werden. Denn er übernimmt mit der Sterbebegleitung gewissermaßen einen Teil der Pflege und ist damit in seiner Rolle vergleichbar mit dem Pflegepersonal.
Qualitätsprüfungen ausgesetzt – Maßnahmen zur Unterstützung der Mitarbeiter
Zur Entlastung des Personals in Pflegeheimen angesichts der Corona-Epidemie wurden mittlerweile einige drastische Maßnahmen beschlossen. So unterstützen einige Länder das Pflegepersonal dadurch, dass deren Kinder weiterhin betreut werden, etwa durch die Kindertagesstätten, deren allgemeiner Betrieb eingestellt wurde.
Weitreichender ist eine andere Maßnahme: Bis Ende September werden die Qualitätskontrollen durch den MDK ausgesetzt. „Pflegebedürftige Menschen bedürfen in ganz besonderer Weise der umfassenden Betreuung und Versorgung, da müssen wir auch ungewöhnliche Wege gehen“, sagte der für Pflege zuständige Vize-Chef des Kassen-Spitzenverbandes, Gernot Kiefer, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Normalerweise überprüft der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) regelmäßig vor Ort, wie die Heimbewohner versorgt werden. Aus diesen Informationen und Daten, die die Pflegeheime selbst liefern, werden umfassende Prüfberichte erstellt. Die Kontrollen binden jedoch Pflegekräfte, was nun durch die Aussetzung verhindert wird.
Wie sollten Einrichtungen vorgehen?
Entscheidend ist, dass die Hygienevorschriften im Moment zu hundert Prozent eingehalten werden (Handhygiene, Desinfektion, Husten- und Niesetikette etc.). Die Einrichtungen sollten diese nicht nur für ihre Mitarbeiter genauestens umsetzen, sondern auch Bewohner und Besucher darüber aufklären und sie immer wieder daran erinnern. Sie können sich auch von ihrem zuständigen Gesundheitsamt beraten lassen, bevor sie übertriebene Maßnahmen eigenmächtig beschließen. Je nach Infektionshäufigkeit können beispielsweise Gruppenaktivitäten eingeschränkt werden und man sollte regelmäßig eine Gefährdungsbeurteilung vornehmen. Besonders wichtig ist es, dass die Pflegekräfte frühzeitig reagieren, wenn sie selbst Krankheitssymptome aufweisen, damit sie niemanden anstecken.
Das Robert-Koch-Institut hat auf seiner Homepage Hinweise zur Prävention und zum Management von Erkrankungen in Altenpflegeheimen veröffentlicht (Stand vom 03.04.2020). Demnach gilt:
- Auch außerhalb der direkten Versorgung von COVID-19 Patienten wird das generelle Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes durch sämtliches Personal mit direktem Kontakt zu besonders vulnerablen Personengruppen aus Gründen des Patientenschutzes während der Pandemie empfohlen.
- Beim Auftreten von Atemwegserkrankungen oder fieberhaften Erkrankungen sollte eine Abklärung auf SARS-CoV-2 erwogen werden
- Hinweise für Besucher (z.B. Aushang) anbringen, dass sie das Altenheim nicht aufsuchen sollen, wenn sie eine akute Atemwegserkrankung haben.
- Besuchsregelungen sollten ggf. mit den Gesundheitsbehörden abgestimmt werden.
- Mitarbeiter mit akuten Atemwegserkrankungen sollten zu Hause bleiben
- Bei neu aufgenommenen Bewohnern sollte der Gesundheitsstatus erhoben werden, Personen mit Atemwegserkrankungen oder fieberhaften Erkrankungen sollten dem betreuenden Arzt zur Entscheidung des weiteren Vorgehens vorgestellt werden.
- Erkrankte Bewohner mit Atemwegserkrankungen oder fieberhaften Erkrankungen sollten im Zimmer versorgt werden.
- Generelle Informationen für Mitarbeiter, Bewohner und deren Besucher, welche Anstrengungen unternommen werden, um die Bewohner zu schützen.
- Hände-Desinfektionsmittel und Einmaltaschentücher sollten in allen Bereichen, auch den Wohnbereichen der Bewohner, bereit gestellt werden.
- Bei der Pflege von Erkrankten mit Fieber oder Atemwegserkrankungen sollte entsprechende Schutzausrüstung verwendet werden.
- Schutzausrüstung und Hinweise zu deren Benutzung sollten unmittelbar vor den Wohnbereichen platziert werden.
- Mülleimer zur Entsorgung von Einmalartikeln sollten im Innenbereich vor der Tür aufgestellt werden.
- Bei Übernahme durch bzw. Transfer in eine andere Einrichtung sollte eine Vorab-Information bezüglich Atemwegserkrankung bzw. auf COVID-19 verdächtige Erkrankung erfolgen.
- Der Gesundheitszustand des Personals muss beobachtet werden.
Diese und weitere Informationen finden Sie auf der Internetseite des Robert Koch-Instituts.
Was sollten Angehörige jetzt beachten?
Wir empfehlen allen Angehörigen, sich fortlaufend zu informieren, die Hygieneregeln genauestens zu befolgen und mit Erkältungssymptomen einen Besuch ausfallen zu lassen. Die Regelungen, Erlasse und Empfehlungen der einzelnen Bundesländer hierzu finden Sie gebündelt auf einer eigenen Seite.
Wenn die Gefährdungslage einen Besuch unmöglich macht, sollte man sich an die Einrichtung wenden. Vielleicht kann man zumindest die benötigte frische Wäsche abgeben, ein Videotelefonat führen oder einfach einen Brief schreiben, damit der Bewohner sich nicht so einsam fühlt. In vielen Fällen können die Bewohner die Einrichtung beispielsweise für einen Spaziergang verlassen. Fragen Sie in der Einrichtung nach, ob Sie vielleicht in sicherem Abstand dazukommen können. Einige Einrichtungen haben auch neue Ideen entwickelt, Kontakte herzustellen.
Übertriebene Reaktionen – sowohl trotz eigener Krankheit auf den Besuch zu bestehen, als auch von Einrichtungsseite die Besuche ohne weiteren Grund komplett einzustellen – sind wenig zielführend und ggf. sogar schädlich. Panikmache hilft niemandem und kann sich im Pflegeheim zusätzlich belastend auswirken. Es gilt auch, den Menschen, die als älter und pflegebedürftig in vielerlei Hinsicht besonders gefährdet sind, die psychische Belastung zu nehmen. Jetzt den Alltag komplett umzukrempeln verstärkt sicher deren Stress. Angehörige, denen aufgrund einer eigenmächtigen Entscheidung der Einrichtung der Besuch verwehrt wird, können im BIVA-Beratungsdienst Unterstützung bekommen.
Was können Angehörige tun?
Angehörige können trotz der Besuchseinschränkungen und -verbote etwas für ihre Angehörigen im Pflegeheim tun. Hier einige Tipps:
- Erklären Sie Ihren Angehörigen in aller Ruhe die Covid-19-Erkrankung und warum die derzeitigen Maßnahmen getroffen werden müssen. Versichern Sie Ihnen, dass Sie intensiv an sie denken und den Kontakt anderweitig aufrecht erhalten werden.
- Regelmäßige Telefonate, ggf. mit Bild, Briefe, Fotos oder von den Enkeln gemalte Bilder können helfen, die fehlenden Besuche zu kompensieren.
- Beteiligen Sie Ihre Angehörigen soweit wie möglich am Alltag, fragen Sie sie nach Ihrer Meinung und ihren Wünschen.
- Zeigen Sie Ihre Solidarität durch symbolische Handlungen wie z.B. Einkaufsdienste o.ä. Auch sollte es weiterhin möglich sein, frische Wäsche abzugeben. Am besten wenden Sie sich an die Einrichtungsleitung, welche Vorgehensweise hier bevorzugt wird.
Impfschutz ist wichtiger denn je
Aufgrund der aktuellen Besuchseinschränkungen in Pflegeheimen kann es sein, dass keine Impfungen möglich sind. Spätestens nach der Krise sollte aber jeder seinen Impfschutz und den seiner Angehörigen überprüfen.
Mehr denn je ist ein umfassender Impfschutz für die vulnerable Gruppe der Bewohner von Pflegeeinrichtungen von großer Bedeutung. Dies gilt ebenso für Angehörige als auch für Pflegepersonal, um die Ansteckungsgefahr möglichst gering zu halten. Auch wenn noch kein Impfstoff gegen das Virus Sars-CoV-2 vorliegt, können durch Impfungen zusätzliche Infektionen, die mit einer Erkrankung durch COVID-19 einhergehen können, verhindert werden.
Die häufig vernachlässigte Pneumokokken-Impfung, die vor bakterieller Lungenentzündung und Sepsis schützen kann, wird für ältere Menschen ab 60 Jahren schon lange vom Robert Koch-Institut empfohlen. Jetzt erhält gerade diese Impfung für Senioren eine besondere Bedeutung. Da COVID-19 besonders die Atemwege betrifft, sollte alles getan werden, um eine zusätzliche Infektion durch Pneumokokken, die die Lungen angreifen, zu verhindern. Angehörige sollten für ihren eigenen Impfschutz sorgen, um die Ansteckungsgefahr für ihre Lieben möglichst gering zu halten. Sollte der Pflegeheimbewohner selbst nicht geimpft sein, können Angehörige sich darum kümmern, dass eine solche Impfung erfolgt.
Das Pflegepersonal selbst darf diese Impfungen nicht durchführen. Immer muss ein Arzt zugegen sein muss. Um dies zu organisieren, empfiehlt sich ein Gespräch mit der Leitung der Einrichtung. Dabei sollten Angehörige auch fragen, inwieweit das Personal selbst geimpft ist.
Zu einem guten Impfschutz von Bewohnern gehört auch die jeweils aktuelle Grippe-Impfung, die jährlich erneuert werden muss. Sie ist für Bewohner, Angehörige und Pflegepersonal wichtig. Auch wenn der Impfschutz nur eine Wirkung von 50 bis 60 Prozent hat, so kann er doch für einen Teil der Betroffenen von entscheidender lebensrettender Bedeutung sein. Eine Doppel-Infektion durch Grippe- und Corona-Viren würde die Bedrohung für die Gesundheit drastisch erhöhen.
Pflege-Rettungsschirm unterstützt die Versorgung der Pflegebedürftigen
Die Corona-Pandemie stellt die Gesellschaft auch vor große finanzielle Harausforderungen. Die Pflegekassen unterstützen daher die Pflegeheime, ambulanten Pflegedienste und auch die Pflegebedürftigen selbst mit einem finanziellen Rettungsschirm und verzichten vorübergehend auf verschiedene Formalien. Ausführliche Informationen dazu vom GKV-Spitzenverband gibt es hier.
Der BIVA-Pflegeschutzbund
unterstützt Pflegebedürftige und ihre Angehörigen durch Information, Schulungen und Einzelfallberatung und stärkt ihre Rechte durch politische Lobbyarbeit. Der Verein ist unabhängig und gemeinnützig.
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