Pflegebedürftige Menschen in Einrichtungen benötigen neben einer umfassenden Pflege und Betreuung auch regelmäßige ärztliche Versorgung. Dass diese nicht immer und in allen Regionen verfügbar ist, ist leider ein bekanntes Dauerthema. Auch die Regelung des § 119b SGB V, dass stationäre Einrichtungen Kooperationsverträge mit vertragsärztlichen Leistungserbringern zu schließen haben, ändert daran häufig nichts, da wir mittlerweile auch bei den Hausärztinnen und Hausärzten mit Personalnotstand rechnen müssen, vor allem beim Blick in die Zukunft. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Betroffene und Angehörige dankbar für jeden Hausarzt sind, der ins Heim kommt.
Häufiges Problem: Patienteninformation und Austausch mit Angehörigen
Sobald die Versorgung durch einen Arzt bzw. eine Ärztin übernommen wurde, finden sich die Beteiligten in einem Dreiecksverhältnis zwischen Arzt, Patient und Pflegeheim bzw. Pflegekräften wieder. Im Idealfall organisieren und koordinieren die Pflegekräfte Arzttermine und Visiten, setzen die ärztlichen Anordnungen um und befinden sich in einem regelmäßigen Austausch dazu mit Bewohner:innen und Angehörigen. Dennoch melden sich immer wieder Betroffene und Angehörige beim BIVA-Pflegeschutzbund, weil genau dieser Austausch nicht funktioniert: Pflegekräfte melden sich ohne diesbezüglichen Auftrag oder Notfall beim Arzt, dieser verändert die Medikation und weder die Betroffenen selbst noch deren bevollmächtigte Angehörige werden darüber informiert. Alternativen zu der eingeleiteten Behandlung haben somit keine Chance.
Beispiel: Vergabe von Psychopharmaka
So passiert es immer wieder, dass sich Angehörige bei uns melden, weil sie durch Zufall erfahren, dass ihren pflegebedürftigen Angehörigen sogar Psychopharmaka ohne Absprache verschrieben und gegeben werden, obwohl diese durchaus auch abzuwägende Nebenwirkungen haben. In einigen Fällen waren die Pflegebedürftigen noch nicht einmal Patient des Arztes oder das letzte Mal vor mehr als einem Jahr untersucht worden. Auch bei Gemeinschaftspraxen und Urlaubsvertretungen kommt es immer wieder zu „Verschreibungen auf Zuruf“. In extremen Fällen hören wir auch sogar davon, dass Psychopharmaka auch an andere Bewohnerinnen und Bewohner verabreicht werden, denen das Medikament gar nicht verschrieben wurde.
Beispiel: Impfung
Auch in weniger drastischen Konstellationen hören wir immer wieder von mangelnder Information im Zusammenhang mit der medizinischen Versorgung. In einem Fall fragte die bevollmächtigte Tochter die Pflegekraft nach dem Grund für die unverständliche Angabe des Vaters, dass ein Arzt dagewesen war. Beiläufig wurde ihr mitgeteilt, dass dies von einer Impfung herrühre. Offenbar war sich die Pflegefachkraft gar nicht bewusst, wo dabei das Problem liegen könnte. Die Impfung als solche ist auch aus unserer Sicht nicht problematisch. Im Gegenteil: Der BIVA-Pflegeschutzbund appelliert ausdrücklich, sich gerade in Corona-Zeiten impfen zu lassen, um das Risiko für weitere Erkrankungen zu minimieren. Aber auf keinen Fall über die Köpfe der Patienten und deren Angehörige und Bevollmächtigte hinweg und nicht ohne ausdrückliche Einwilligung!
Auch im Pflegeheim gibt es Patientenrechte
Zu Recht wird hier nach den Patientenrechten gemäß §§ 630a ff. BGB gefragt. Zwischen dem Arzt und dem Patienten wird mit Aufnahme der Behandlung ein Behandlungsvertrag geschlossen. Dies ist grundsätzlich der Fall, auch wenn der Arzt selbst einen Kooperationsvertrag mit einer Einrichtung geschlossen hat oder dort sogar angestellt ist. Im Rahmen dieses Behandlungsvertrags gelten u.a. das Recht auf Aufklärung, das Recht zu entscheiden, ob man sich einer bestimmten Therapie unterziehen will, sowie das Recht auf Einsicht in die eigene Akte. Kann eine pflegebedürftige Person diese Rechte nicht mehr selbst wahrnehmen, muss dies ein Betreuer oder Bevollmächtigter tun, nicht der Arzt selbst oder Mitarbeitende der Einrichtung. In Notfällen ist der mutmaßliche Wille der betroffenen Person ausschlaggebend.
Transparenz ist notwendig für ein Vertrauensverhältnis
Diese Sachlage ist vielen Medizinerinnen und Medizinern sowie Einrichtungsmitarbeitenden bewusst und bekannt und es wird entsprechend gehandelt. Da die oben geschilderten Probleme aber keine Einzelfälle sind, deuten sie auf ein verbreitetes Denkmuster hin, in dem Bewohner:innen und Angehörige nicht gleichberechtigt eingebunden werden. In der Regel geschieht dies sogar durchaus aus gutem Willen: Man braucht schnelle Entscheidungen durch Profis, um die bestmögliche Versorgung sicherzustellen. Schlimmstenfalls werden Patient:innen und Angehörige dann nur als Störfaktoren wahrgenommen: Sprechen die – in der Regel bevollmächtigten – Angehörigen die zuständigen Medizinerinnen und Mediziner an, kann es passieren, dass diese empfindlich reagieren und die Behandlung aufgeben, weil das Vertrauensverhältnis gestört sei. Für die pflegebedürftigen Betroffenen ist dies ein Desaster, weil es ja ohnehin häufig schwierig ist, einen Arzt zu finden, der in die Einrichtung kommt.
Ein dringender Appell des BIVA-Pflegeschutzbundes ist hier, dass alle Beteiligten die Patientenrechte ernst nehmen. Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen sind besonders schutzbedürftig und somit in gewisser Weise dem pflegerischen und medizinischen Personal ausgeliefert. Sowohl für sie als auch für ihre Angehörigen kann das Gefühl des Ausgeliefertseins schnell beklemmend werden. Umso wichtiger ist es, in der sensiblen Arzt-Patient-Beziehung durch Transparenz für Vertrauen zu sorgen und nicht paternalistisch über mitunter existenzielle Maßnahmen zu entscheiden.
Weitere Informationen zum Thema
Mehr zu den rechtlichen Hintergründen:
- https://www.biva.de/wer-bestimmt-medikation-im-pflegeheim/
- https://www.biva.de/patientenrechte-gegenueber-dem-arzt/
Zur Problematik medizinischer Versorgung im Heim: